Kreativität liegt uns im Blut. Die Herausforderung besteht darin, sich unvoreingenommen der Umwelt zu öffnen und die eigenen Talente zu erkennen. Der Kreativitätsforscher und Kulturpublizist Paolo Bianchi erklärt uns im Interview, wie das gelingt.
Was ist Kreativität? Wo kommt sie vor?
Kreativität ist etwas Ursprüngliches und Universelles. Wir sind von Natur aus kreativ. Es ist eine Grundeigenschaft unseres Gehirns, schöpferisch tätig zu sein. Fantasie und Einfallsreichtum sind nicht nur Künstlern und Kreativschaffenden anzueignen; auch Steuerberater und Facility-Manager können kreativ sein.
Kann man Kreativität «erlernen»?
Es gibt Erfolgszutaten fürs Kreativsein: die Lust am Experimentieren, sich neugierig auf Ungewohntes einlassen, die Bereitschaft, eigene Grenzen zu überschreiten, im Kleinen das Grosse und im Grossen das Kleine zu entdecken – und sich dabei selbst ständig neu zu erfinden.
Kreativität fusst auf der Balance zwischen einem rational-logischen Denken und einem emotional-intuitiven Handeln und Fühlen. Kreative Personen sind Freunde eines «Sowohl-als-auch», sie pflegen das fruchtbare Wechselspiel von Divergenz (Perspektiven wechseln, neue Kombinationen ausprobieren, Pausen machen) und Konvergenz (Fakten kennen, Entscheidungen treffen, Ideen verfeinern). So wandern kreative Personen zwischen den Polen hin und her, leichtfüssig und elegant.
Mit Fokus auf das Arbeitsumfeld: Gibt es bestimmte Methoden oder Settings, um Kreativität bestmöglich zu entfalten?
Eine der spannendsten Methoden, Kreativität zu entfalten, besteht darin, sich unvoreingenommen auf Kunst in all ihren Ausdrucksformen einzulassen, die Begegnung mit Kunstwerken zu suchen – denn alles wirkliche Leben ist Begegnung. Das ist gerade auch in nicht kunstaffinen Arbeitsumfeldern möglich. Kreativität kann sich entfalten, wenn ein Mensch sich in seinem Element befindet, das heisst, wenn er sich von seinen Neigungen und Interessen leiten lässt.
Eine weitere Methode besteht darin, sich aus persönlichen verkrusteten Strukturen herauszuwinden. Das kann durch das Loslassen der eigenen fest etablierten Prioritäten, Annahmen, Routinen und Gewohnheiten gelingen. Hierfür braucht es ein Kreativitäts-Coaching, um blockierte Intuitionen und Wahrheiten, die auf unterbewusster Ebene begraben liegen, wieder ans Tageslicht zu bringen.
Was sind entscheidende Faktoren?
Entscheidend ist die Haltung, die wir gegenüber der Zeit haben: Sehen wir ständig und überall Zeitmangel oder sehen wir die Zeit, die uns gegeben ist, als Geschenk an? Haben wir das Gefühl, unsere Zeit aktiv zu gestalten oder sind wir permanent damit beschäftigt, Zeit zu sparen oder möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu schaffen? Für die Entfaltung von Kreativität ist in allen Lebensbereichen die Balance zwischen An- und Entspannung entscheidend. Und für diese Balance müssen wir selbst sorgen, immer und überall.
Wie kann man Kreativität im Team/bei Arbeitskollegen fördern?
Eine Arbeitskultur zu etablieren, die auf Kreativität basiert und Veränderung toleriert, kann nicht als ein Projekt in Angriff genommen werden. Wir können einzig Rahmenbedingungen erzeugen, in denen sich kreative Muster besser zeigen können. Ein solcher Möglichkeitsraum ist «Diversity», also die kulturelle und stilmässige Unterschiedlichkeit von Menschen in einem System. Wir müssen heterogene Teams bilden, in denen Andersdenker und Störer eine Chance bekommen. Interaktivität und Rückkoppelungseffekte befeuern die kreative Intelligenz im Team.
Was würden Sie jemandem raten, der seine Kreativität bei der Arbeit zu wenig einbringen kann?
Als Kreativ-Coach würde ich einem Ratsuchenden fragend begegnen, etwa: Was macht dich «gwundrig»? Kennst du deine Talente? Wann hast du das Gefühl, in deinem Sein und Tun ganz bei dir selbst zu sein? Es gilt herauszufinden, wie das gelingt, ohne sich und anderen etwas vorzumachen oder sich verrenken zu müssen. Der Weg dahin kann labyrinthisch sein und über Umwege führen, ist von Versuch und Irrtum begleitet, aber auch von Flow-Erlebnissen.
Entscheidend ist, die eigenen Tagträume, Visionen und Sehnsüchte als Wegweiser ernst zu nehmen. In einem solchen Prozess geht es nicht darum, das Geheimnis des Kreativseins zu enthüllen, sondern das Bewusstsein zu heben, wie wir absichtlich unseren Kräftepegel steigern und an Spannkraft gewinnen können.
Wie entfalten Sie selbst Kreativität im Arbeitsalltag?
Ich versuche einem Menschen so zu begegnen und ihn so zu sehen, wie er ist; ein Unikat, einmalig und unverwechselbar. Und obwohl meine Aufmerksamkeit ganz beim Gegenüber ist, bin ich zugleich bei mir selbst. Ich wünsche mir, dass sich jede/r in einen porösen Schwamm verwandelt, Erlebnisse aufsaugt und Geschichten sammelt. Ist der Punkt der Sättigung erreicht, lässt sich der Schwamm auspressen für den Moment eines Ideenflutens. Dann erreicht er wieder seine trockene Existenzform, um wiederum Fluides aufzunehmen und seine Flow-Bewegung rhythmisch fortzusetzen. Diese Elastizität und Flexibilität begünstigen die Kreativität enorm.
Paolo Bianchi
Ist Hochschuldozent an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, Kurator, Kulturpublizist und Kreativitätsforscher sowie Gründungsleiter des Nachdiplomstudiengangs CAS Creationship.
CAS Creationship
Das Handwerk der Kreativität wird in der Schul- und Hochschulzeit oft kaum gefördert. Im Nachdiplomstudiengang CAS Creationship der Zürcher Hochschule der Künste können Interessierte nachträglich kreatives Denken und Handeln erlernen und trainieren.
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